Der Biobauer Robert steht zu seinen Gefühlen und verliebt sich in einen Mann. Der Ehemann von Anina und Vater von zwei Kindern bringt damit seine Familie in eine schwierige Situation. Die Existenz des Hofes ist gefährdet. Dank offenem und verständnisvollem Umgang miteinander finden die Beteiligten aus der Krise und das neue Lebens- und Beziehungsmodell zeigt, wie auch ein etwas anderes Leben glücklich gestaltet werden kann.
von Christian Conrad
Anina und Robert erwirtschaften ihr Einkommen als Biobauernfamilie. Roberts lange verdrängten Gefühle bezüglich seiner sexuellen Orientierung brachte das Paar in eine existenzielle Krise. Die Zukunftsaussichten für den Hof und ihre Beziehung standen auf der Kippe. Sie entschieden sich, als Familie und Betrieb neue Beziehungswege zu suchen, die für alle passen (siehe diverse Medien von Somedia am 14.5.2016).
Positive Erfahrungen im neuen Modell
Das lief einige Zeit ganz gut. Bis sich Robert nach einigen Abenteuern ernsthaft in Ursin verliebte. Es entstand eine tragfähige Beziehung zwischen den beiden Männern. Über die Monate bemerkte Anina bei Robert positive Veränderungen. Er lachte wieder mehr und wirkte zufrieden. Sie sah, dass Robert seine Aufgabe als Vater wahrnahm und seine Verpflichtungen auf dem Hof engagiert weiterverfolgte. Anina hatte zwar ihren Ehepartner verloren, Robert blieb jedoch ein zuverlässiger Vater, Arbeitspartner und Freund. Das gab ihr Vertrauen, und sie konnte sich eine gemeinsame Entwicklung des unkonventionellen Beziehungsmodells gut vorstellen.
Dynamisches Leben, offener Ausgang
Ursin lernte bei seinen gelegentlichen Besuchen auch Anina und die zwei Kinder kennen. Es entwickelte sich nach anfänglicher Skepsis eine lockere Verbindung zwischen allen Beteiligten. Das erfreute Robert sehr, und seine Horrorszenarien sind nicht eingetroffen. Klar gab es unter der Dorfbevölkerung anfänglich zu reden – wie meistens wenn sich etwas «Unplanmässiges» im Dorf ereignet. Aber Anina und Robert gestalten ihre Situation respektvoll und fair und diskutieren Herausforderungen intensiv. Bei Bedarf lassen sie sich als Arbeitsteam von Fachpersonen beraten. Anina ist offen für Neues und kann sich auch vorstellen, sich wieder zu verlieben.
Wie wird die «Beziehungsgeschichte» weitergehen? Folgt ein Happy End oder warten neue Stolpersteine auf die Familie, welche deren Existenz gefährden könnten? Auf jeden Fall wird es für alle Beteiligten ein dynamischer Prozess bleiben, dessen Ausgang – wie immer im Leben – offen bleibt.
Klare Kommunikation pflegen
Bei Beziehungsveränderungen oder Trennungen, unabhängig davon, welche sexuelle Orientierungen darin vorkommen, geht es auch darum, miteinander auszumachen, was kommuniziert wird – nach aussen und gegenüber den Kindern. Vertuschen und verheimlichen nährt die Gerüchteküche.
Wenn Anina im Frauenverein nach ihrem Lebensmodell befragt wird, antwortet sie ganz selbstverständlich, dass ihr Ex-Partner einen Mann liebt. Die Frauen sind ob der offenen Antwort erstaunt. Nun ergeben sich daraus interessante und vertraute Gespräche. Das Verständnis für verschiedene Lebensentwürfe kann so gefördert werden. Der Mut der Familie, hinzustehen und Klartext zu reden, wird von vielen bewundert. Auch kann die offene Kommunikation Modellcharakter haben, wie Paare Krisen konstruktiv bewältigen können.
Die Existenz ist weiterhin gesichert
Die Offenheit aller Beteiligten, das eigene Leben aktiv zu gestalten, ermöglicht es Robert, mit seinen Gefühlen zu leben anstatt sie zu verdrängen und dabei seine Gesundheit zu gefährden.
Die Arbeits- und Existenzgrundlage sowie das über Jahre aufgebaute Lebenskonzept kann so weitergeführt werden. Mit dem Hof hat die Familie weiterhin ein tragendes Einkommen und bleibt als Einheit bestehen. Auch für die Kinder kann dieses authentische Familienmodell sowie die lösungsorientierte, positive Konfliktgestaltung Vorbildcharakter haben.
Christian Conrad ist Sexualpädagoge und Sexualberater sowie Bereichsleiter Lesbian, Gay, Bi, Heterosexuell, Transgender und Intersexuelle Menschen (LGBHTI*) bei der Aids-Hilfe GR.