von Sina Bardill, Psychologin FSP und Supervisorin/Coach BSO
Burn-out-Erkrankungen und psychische Erschöpfung nehmen trotz Abnahme von objektiven Stressfaktoren weiterhin zu. Bei vielen Menschen lässt sich ein Übermass an Stresshormonen im Körper messen. Dies führt zu vielfältigen Beeinträchtigungen, sowohl körperlich wie psychisch. Der gefühlte Stress ist also objektiv nachweisbar. Gregor Hasler, Professor an der Universität Fribourg, vertritt die These, dafür sei nicht die Zunahme der Stressfaktoren, sondern die Abnahme von Stärkungs- und Entspannungsfaktoren verantwortlich.
Resilienz ist in aller Munde. Gemeint ist diese Form von Widerstandskraft, die hilft, dank stärkenden und entspannenden Faktoren auch mit schwierigen Umständen, auch mit Belastungen klarzukommen und gesund zu bleiben. Solche Schutzfaktoren sind etwa persönliche Ressourcen wie körperliche, psychische oder intellektuelle Fähigkeiten.
Dazu kommen soziale Ressourcen wie ein näheres und weiteres Umfeld, welches akzeptierend und unterstützend wirkt. Belastende Umstände, schwierige und krisenhafte Erfahrungen sind besser zu verarbeiten, je mehr solch stärkende Faktoren vorhanden sind. Fehlen diese oder sind sie knapp, kann es selbst bei mässiger Belastung zu massivem Leiden kommen.
Hasler arbeitet in seinem Buch zum Thema (Resilienz: Der Wir-Faktor) heraus, dass es zu kurz greift, Resilienz individualistisch zu verstehen: Resilienz ist auch eine Frage des Miteinanders. Um eigene Widerstandskraft zu entwickeln und im Bedarfsfall zu aktivieren, brauchen wir andere Menschen. Interessanterweise zeigt die Forschung, dass dazu ein nahes, beispielsweise familiäres Umfeld gehört, aber ebenso zusätzliche stabile Beziehungen.
Diese soziale Integration und Unterstützung hat leider in den vergangenen Jahrzehnten stetig abgenommen, unter anderem durch die gestiegene Mobilität. Viele Menschen haben über ein eventuelles nahes familiäres Umfeld hinaus gar kein erweitertes mehr. Nachbarschaft und gemeinschaftliche Freizeit sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Diese weiteren sozialen Bezüge reduzieren Stress und sind zusätzliche Ressourcen. Sie vermitteln Zugehörigkeit, Gemeinsamkeit und geben Sinn und Bedeutung. Die Forschung zeigt, dass rein digitale Kontakte und Netzwerke diese lokalen und konkreten Beziehungen nicht ersetzen können.
Die sich schnell verändernde Welt fordert und überfordert viele Menschen. Es ist wichtig zu realisieren, wie bedeutsam andere Menschen für die psychische Stabilität aller sind. Hier gilt es, die Prioritäten richtig zu setzen. Ein Beispiel: Ein Umzug für eine Stelle, die mehr Prestige und Einkommen verspricht? Wenn der Preis dafür ein Verlassen des vertrauten Umfeldes ist, kann die vermeintliche Chance auch zum Boomerang werden – insbesondere auch im Wiederholungsfall. Denn ein Netz von Menschen, die in der Nähe leben, arbeiten und wohnen kann nicht von heute auf morgen aufgebaut werden.
Dies ändert sich vielleicht gerade jetzt: Denn die Corona-Krise fordert schmerzlich physische Distanz, führt aber für viele Menschen auch zu einer Welle der Solidarität im lokalen, nahen Umfeld.
Gerade jetzt wird deutlich, wie wichtig diese Unterstützung in alltäglichen Dingen und wie wertvoll ein offenes Ohr füreinander sein kann.
Alle Menschen haben Bindungsbedürfnisse und es lohnt sich, diesen Priorität zu geben. Dazu gehört natürlich, für andere da zu sein. Aber genau so wichtig ist es, Zuwendung zu schätzen, selbst um Hilfe zu bitten oder um eine Unterstützung zu fragen, wenn sie nötig ist. Wahrscheinlich werden gerade in Zeiten der Krise gemeinschaftliche Schutzfaktoren gelernt und gestärkt werden.
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