von Thomas Stecher, dipl. Berufs- und Laufbahnberater Berufs-und Bildungsberatung Chur
Was ist das Positive an einer negativen Situation, könnte man sich stoisch in einer Krise fragen. Aber so funktioniert das menschliche Gehirn nun mal nicht. Der Verstand ist geprägt vom verzerrenden Einfluss eines fundamentalen Ungleichgewichts.
Was dies für das Leben bedeutet, wird der Wissenschaft gerade erst so richtig klar: «schlecht» ist stärker als gut. Gemeint ist eine allgemein menschliche Neigung, sich von negativen Ereignissen und Emotionen stärker beeinflussen zu lassen als von positiven. Während ein Wort der Kritik zu vernichten vermag, kann es einen durchaus kalt lassen, wenn man mit Lob überhäuft wird. Man sieht das «eine» feindselige Gesicht in der Menge, während einem so manches freundliche Lächeln entgeht. Hört sich deprimierend an – und oft genug ist es das auch –, aber der Negativitätseffekt muss mitnichten das letzte Wort haben. «Schlecht» ist stärker, aber «gut» kann durchaus die Oberhand gewinnen, wenn der Mensch versteht, womit er es zu tun hat.
Das Positive am Negativen ist seine Fähigkeit, den Verstand zu schärfen und Personen mit dem nötigen Willen zu erfüllen. Indem man lernt, die Wirkung schmerzlicher Feedbacks zu verstehen, kann man besser mit Kritik umgehen. Das versetzt einem in die Lage, die nützlichen Lektionen aus dieser zu ziehen, ohne sich von ihr entmutigen zu lassen.
Konstruktiv kritisieren ist wahrhaft eine seltene Fertigkeit. Die meisten Menschen, auch die sogenannten Experten, haben wenig Ahnung, wie man schlechte Nachrichten überbringt, weil sie die ¬Mechanismen ihrer Aufnahme nicht verstehen. Wenn Ärzte ungeschickt eine trostlose Diagnose vermitteln, tragen sie nur zu Kummer und Verwirrung der Patienten bei.
Auch bei der Beurteilung von Schülerinnen, Schülern, Studierenden oder Angestellten sind viele Lehrende und Chefs rasch mit Kritik bei der Hand. Diese kann in der Hauptsache nur entmutigen. Andere gehen dem Problem grundsätzlich aus dem Weg, indem sie ausschliesslich gute Bewertungen oder Noten vergeben. Einige Techniken, die man jüngst in Schulen, Büros und Fabriken getestet hat, zeigen, wie man dies effektiver erledigen kann.
Fragen sind wichtig, wenn man Studierende, Schüler oder einen Mitarbeiter am Arbeitsplatz kritisiert. Wenn etwas Schriftliches über Produktivität, Verkaufszahlen oder eine Liste zu erledigender Projekte vorhanden ist, kann man die Betreffenden darum bitten, einen Blick darauf zu werfen und sie nach
ihrer Meinung dazu fragen. Auch Fragen wie «Was meinen Sie, wie sehen Sie Ihre Entwicklung» ermöglichen es, bereiter für Kritik zu sein. Die meisten werden den einen oder anderen verbesserungswürdigen Punkt benennen. Hier kann man das Urteil des Mitarbeiters bestätigen und die Diskussion ausweiten, um die Analyse der Kritik anzubringen.
Ist die Kritik einmal angenommen worden, worden, nutzt man die Macht des Negativen zum Positiven. Sobald das Gehirn Kritik registriert, wird es umgehend rege, da es hellwach sein muss, um sich der Bedrohung zu stellen. Jetzt kann man sich auf das Positive konzentrieren, da sich das Gute zusammen mit dem Schlechten ins Langzeitgedächtnis eingraviert. Wie man inzwischen weiss, braucht es etwa vier positive Aspekte, um einen negativen wettzumachen. An dieser Stelle darf man also mit Komplimenten nicht geizen.
Eine weitere Methode, die positive Einstellung zu verbessern, besteht darin, sich eher auf künftige Leistungen als auf bereits gemachte Fehler zu konzentrieren.
Kritik und Strafen sorgen, sofern richtig verabreicht, weit schneller für Fortschritte als der Ansatz, einfach jedem eine
Medaille fürs Mitmachen anzuheften. Beanstandungen inspirieren Menschen, aus ihren Fehlern zu lernen. Kritik bringt den Menschen bei, an sich selbst zu arbeiten und mit anderen zurechtzukommen, dies, um die eigene Leistung zu steigern oder seine berufliche Zusammenarbeit mit Arbeitskollegen zu verbessern. Richtig verstanden, vermag die Macht des Negativen aus allen das Beste herauszuholen.
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