von Bernadette Jörimann, Geschäftsleiterin Spitex Chur und Johanna Weiss, Leitung Pflege
Jedes Team von Spitex Chur kümmert sich eigenverantwortlich um alles, was es für seine Arbeit mit den Kundinnen und Kunden braucht: von der Ferien-, Dienst- und Einsatzplanung bis zur Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden. Als Support stehen ihnen Coaches und Fachspezialisten zur Verfügung.
Zudem sind die Teams vollständig digitalisiert – Smartphones, Tablets sowie eine Kollaborationssoftware ermöglichen eine zeitnahe Kommunikation und Zusammenarbeit. Doch wieso hat Spitex Chur die Selbstorganisation eingeführt?
Was in manchen Ohren nach einem modernistischen «New Work»-Experiment klingen mag, hat handfeste betriebswirtschaftliche Gründe: Mit der Umstellung von hierarchischer Führung auf Selbstorganisation kommt die Arbeitgeberin dem immer grösser werdenden Wunsch von Arbeitnehmenden nach mehr Teilhabe, Selbstverwirklichung und Autonomie in der Arbeit entgegen. Und steigert damit die eigene Attraktivität – in Zeiten des Fachkräftemangels ist eine an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden orientierte Organisation ein Wettbewerbsvorteil. Zudem hat Selbstorganisation Vorteile für die Kunden: Die Mitarbeitenden können flexibler und zeitnaher auf diese eingehen als Vorgesetzte, die weit weg in einer Zentrale sitzen. Ausserdem entfallen Schnittstellen, die Entscheidungswege werden kürzer und die Abläufe effizienter.
Ohne Chefs zu arbeiten, klingt zunächst, als könne jeder tun, was er möchte. Aber Selbstorganisation ist kein Laissez-faire: Damit Selbstorganisation klappt, braucht es klar definierte Regeln und Rahmenbedingungen. So garantiert Spitex Chur den Kundinnen und Kunden einen Service von morgens um 7 bis abends um 23 Uhr, und zwar 365 Tage im Jahr. Die Teams müssen dies bei der Dienst- und Ferienplanung berücksichtigen. Auch hat jedes Team Ziele in Bezug auf Kundenzufriedenheit und Produktivität, die in Kennzahlen ausgedrückt und transparent kommuniziert werden. Innerhalb dieser Leitplanken können die Teams jedoch frei schalten und walten und so eigene, neue Wege gehen, was die Organisation als Ganzes weiterbringt.
Wer nun denkt, es reiche, die Vorgesetzten aus den Teams zu entfernen, der irrt – die Transformation zu einer mitarbeitergesteuerten Organisation ist kein Spaziergang. Mitarbeitende, Führung und Firmenvorstand müssen verstehen, worum es geht, und «commited» sein. Zudem sind selbstorganisierte Mitarbeitende anders gefordert als jene in einem hierarchisch geführten Betrieb: An die Stelle von «Dienst nach Vorschrift» tritt die Verantwortung für das Ganze – man übernimmt neue Aufgaben und auch Kritik- und Konsensfähigkeit bekommen einen ganz anderen Stellenwert.
Tatsächlich ist Selbstorganisation nicht für jeden. Wer sich jedoch wünscht, seine Talente ganzheitlich einzusetzen, seine Fähigkeiten zu erweitern und jeden Tag als Mensch und nicht nur als Mitarbeitender zur Arbeit zu kommen, der wird nie wieder anders arbeiten wollen.
Bild: zVg.